Kommunikation ist kulturlos geworden.
Die Macht, die eine Marke auf ihre Anhänger ausübt, ist keine Macht aus Größe, Kapital oder Fähigkeiten eines Unternehmens. Die Macht der Marke erwächst aus ihrer Kultur: Kultur ist Macht! Kultur ist Voraussetzung für Markenbildung. Kultur und Profit stehen nicht nebeneinander, sondern in einem kausalen Zusammenhang untereinander. Und die Kultur hat dabei den höheren Rang. Sie ist das Fundament des Marken- und damit des Unternehmenserfolgs. Warum brauchen Marken ausgerechnet jetzt Kultur?
Der erste Grund ist der Erfolg der Marken selber. Marken hatten in den letzten Jahrzehnten Führungspositionen innerhalb ihrer jeweiligen Produkt-/ Dienstleistungsgattungen eingenommen. Diese Position zieht eine besondere Fürsorgeverpflichtung für die jeweilige Gattung nach sich. Die gesellschaftlichen Erwartungen, Ängste und Hoffnungen bezüglich einer Produktgattung richten sich automatisch auf ihren exponiertesten Repräsentanten, auf den Marktführer. Man erwartet, dass der Marktführer die Verantwortung für den Wert, die Qualität und die soziale Anerkennung der Produkte übernimmt.
Der zweite Grund für mehr Kultur ist die wirtschaftliche Notwendigkeit, zu wachsen. Hier stehen die Marken heute einem dichten Feld von Wettbewerbern gegenüber, deren Verdrängung eine enorme Differenzierungsleistung fordert, die nicht alleine aus der Produktqualität angeleitet werden kann. Der Spielraum für die Entwicklung von Argumenten und Botschaften aus der Produktqualität heraus ist begrenzt und in vielen Märkten bereits bis in die exotischsten Spitzfindigkeiten hinein gedehnt worden. Nur wenn eine Marke auch eine kulturelle Idee verkörpert, wird sie wertgeschätzt.
Der dritte Grund für mehr Kultur ist der stetig wachsende Nivellierung. Die klassischen Instrumente der Markenkommunikation, die Bilder, Stimmungen und Botschaften sind von anderen Playern aufgenommen und kopiert worden. Viele Branche, nicht nur die etablierten Konsumgütermärkte, leiden unter einem enormen Nivellierungsdruck, der aus dem Kopieren vermeintlich erfolgreicher Kommunikationsmuster resultiert. Das wird sich weiter verschärfen und nicht selten gehören die Kopierer zu den erfolgreichsten ihrer Branche.
Der vierte Grund für mehr Kultur ist die Notwendigkeit, den Bedeutungsabstand zur Branche, zur Gattungsnorm und den darin führenden Wettbewerbern regelmäßig zu halten, bzw. zu vergrößern. Diese Notwendigkeit ist allein deshalb vorprogrammiert, weil der entsprechende Wertabstand der Marken, ausgedrückt im Preisabstand, zukünftig legitimiert werden muss. In dem Moment, wo eine Marke als überteuert, als unnötiger Luxus oder ungerechtfertigte Bereicherung des Herstellers wahrgenommen wird, wird sie einen irreversiblen Imageverlust erleiden.
Der fünfte Grund für mehr Kultur ist, dass Innovationen stets neue Marktstrukturen schaffen und die Positionen alte Marken in Frage stellen. Unabhängig von den bisherigen Erfolgen einer Marke erweitert jede Innovation ihren Markt sowie das Bewusstsein ihrer Kunden. Die alten Marken leiden dann unter dem Stigma von Gewöhnung und Vertrautheit und führen immer mehr zu Konsumkritik, Konsumüberdruss und Konsumverweigerung. Gleichzeitig wächst in allen Märkten die Sehnsucht nach neuen Produkten, neuen Problemlösungen. Die Wertschätzung aller Marken wächst proportional mit ihrem Anteil innovativer Wertvorstellungen.
Der sechste Grund für mehr Kultur ist die Tatsache, dass es keine Institution von Bedeutung, keine Marke von Rang – überhaupt kein Machtphänomen auf Erden gibt, das nicht eine ausgeprägte Kultur und daraus prägende Kulturgegenstände, „Kultprodukte“ entwickelt hätte. Erst die kontinuierliche Pflege und die dabei entstand Kultivierung eines Angebots hat die vielen wertgeschätzten Kulturgüter unserer Zeit hervor gebracht. Und erst die langfristige Forderung und Förderung dieser Pflege durch jene, die ein existentielles Interesse am Wert und dem Fortbestand der Angebote hatten, hat deren Macht über ihre Abnehmer begründet.
Weder Kirchen, noch Staatsformen, weder Diktaturen noch Demokratien, weder Agrarwirtschaft noch Zunftwirtschaft konnten darauf verzichten. Ein Verfall der Kultur hatte stets den Verfall der Macht einer Institution zur Folge. Kultur ist nichts anderes, als ein Ausdruck von Macht. Sie ist die beziehungsstiftende Kraft, die aus der Hingabe an ein Produkt oder eine Leistung entsteht und all die Menschen verbindet, die ein echtes Interesse an dem Produkt haben. Die Macht des Anbieters gegenüber dem Abnehmer erwächst aus dem Dienst des Anbieters an der gemeinsamen Sache. Der Dienst an der gemeinsamen Sache ist die neue Legitimation des Mächtigen.
Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch