Kommunikation ist ziellos geworden.
Von „Kommunizieren“ zu „Kommunikation“. Wortspielerei? Nein, der Unterschied ist wichtig. Früher bezog sich Kommunizieren auf ein Kommunikationsziel, z.B. auf die Marke. Früher diente das Kommunizieren der Markenbildung. Die Marke war Ziel und Ergebnis – man könnte mit Niklas Luhmann auch sagen der Eigenwert – der Kommunikation. Das „Kommunizieren“ war Tätigkeit, Aktion, Handlung aller Verantwortlichen und Betroffenen. Und sie zielte auf die Aufwertung der Marke.
Heute ist „Kommunikation“ der Sammelbegriff für ein ganzes Bündel eigenständiger, unabhängiger und hoch spezialisierter Dienstleistungen, die von hoch spezialisierten Dienstleistern erbracht werden und sich längst von der Marke emanzipiert haben. Nicht mehr die Marke, sondern die Kommunikation selbst ist das Ziel aller Aufwendungen und Anstrengungen. Sie ist komplexes Geschäftsmodell einer gigantischen Branche geworden. Sie genügt sich selber und dient sich selber: Ihrem Dasein und ihrer Daseinsberechtigung als Wertschöpfungsquelle und Existenzgrundlage tausender Agenturen. Sie ist ein eigener Markt.
Und wie jeder wachsende dynamische Markt differenziert sich auch die Kommunikation in immer feinere Teilmärkte aus: Neben den alten Funktionen Werbung und PR sind schnell ergänzende Dienstleistungen entstanden wie Corporate und Product Design, Packaging, Sales Promotions, Trade und Sales Marketing, Corporate und Product Communications, Internal Communications, Investor Relations, ganz zu schweigen von den vielen neuen Dienstleistungen rund um die sozialen Medien. Und alle diese Dienstleistungen auf jenem Markt „Kommunikation“ sind teuer – wie es sich für Dienstleistungen von Spezialisten gehört.
Völlig selbstverständlich, dass ein so teuer bezahltes Produkt wie die Kommunikation immer mehr in den Fokus aller Betrachtungen rückt. Völlig selbstverständlich, dass man den ROI dann auch nicht mehr an der Marke, sondern an der Wirkung der Kommunikation selber misst. Man misst die Leistungsfähigkeit der Kommunikation: Ob sie bei den Zielgruppen auffällt, ob sie gefällt, ob sie durchfällt. Man misst die Wirkung von Kommunikation anhand von Wirkungsdimensionen, die ihren Aufwand rechtfertigen und ihre Fortsetzung und Budgetierung sichern. Man misst Kommunikationserfolg.
Ein Rollentausch hat stattgefunden: Die Rolle von Herr und Diener. Wer dient heute wem? Dient die Kommunikation tatsächlich noch der Marke? Oder dient die Marke nicht längst als Rechtfertigung für eine immer teurere und aufwendigere Kommunikation? Der Diener hat sich auf den Stuhl seines Herrn gesetzt und fordert das Interesse der Markeninhaber wie der Markenanhänger für sich selber. Der Diener sucht sein eigenes Publikum und spricht nicht mehr gut über seinen Herrn, sondern gut über sich selber. Der Diener tritt nicht mehr bescheiden in den Hintergrund und überlässt seinem Herrn den großen Auftritt, sondern beansprucht den Beifall des Publikums für seine eigene Originalität, seinen Witz, seine Schönheit, seinen Unterhaltungswert – seine Leistung.
Aus der Kommunikation ist ein Ungetüm geworden. Ein Ungetüm, das heute nicht mehr der Marke dient, sondern seine ganz eigene Show abzieht. Warum das niemanden stört? Weil es eben eine Entwicklung ist, weil wir uns daran gewöhnt haben und weil diese Entwicklung durch das System „Marke und Kommunikation“ zwangsläufig eintreten musste. Wie im ersten Beitrag gesagt: Das System ist überhitzt, weil sein Hauptprinzip übertrieben wurde. Ein Systemwechsel ist unvermeidbar.
Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch