Kommunikation ist maßlos geworden.
Baudrillard spricht von der Fettleibigkeit gegenwärtiger gesellschaftlicher Systeme, seien es Informations-, Produktions- oder Kommunikationssysteme. In diesen Systemen werde letztlich mit höchster Effizienz das „immer Gleiche“ multipliziert. Später sagt er dazu: „Wer vom Gleichen lebt, kommt durch das Gleiche um, denn in unseren Zeiten des Überflusses liegt das Problem in der Ablehnung und Abstoßung desselben. „Überkommunikation und Überinformation stimulieren die Abwehrkräfte der Gesellschaft“, schreibt Baudrillard.
Dem „Zuviel des Gleichen“ von Baudrillard stellt der Berliner Gesellschaftsanalytiker und Philosoph Byun Chul Han das „Übermaß an Positivität“ gegenüber. Han spricht von einer neuen „Gewalt der Positivität“, die aus dem „Übermaß an Kommunikation“, einer Überkommunikation herrührt. Die Folgen seien eine Art „gesellschaftliche Erstickung, Erschöpfung und Ermüdung“, welche eine instinktive Abwehr und Ablehnung aller Kommunikation herbei führe. Han spitzt im Sinne Baudrillards zu, dass sich Kommunikation als „Übermaß des Positiven“ im Gegensatz zur negativen Gewalt genau wie Krebszellen durch ein endloses Wuchern zum Feind des zu kommunizierenden Gegenstandes entwickelt.
Die „Gewalt der Positivität“, das „Zuviel des Guten“ läßt sich nur schwer erkennen und regulieren, denn es entwickelt sich nicht als äußere feindliche Bedrohung, sondern als innerer unverdächtiger Bestandteil des Systems. Die Kommunikation ist dem System und der Gesellschaft immanent. Und aufgrund ihrer Immanenz sprechen die gängigen Methoden der Kontrolle und Regulierung auch nicht auf sie an. Ebenso wenig wie die körpereigene Immunabwehr auf das Wuchern der Krebszellen anspricht und diese eindämmen kann.
Das „Zuviel des Guten“ äußert sich als Übermaß an Reizen und Impulsen: Zu viele Botschaften, Symbole, Versprechen, Storys, Ansprüche, Werte, Informationen. Das „Zuviel“ verändert somit die Struktur und Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Wahrnehmung des Rezipienten wird zunehmend fragmentarisiert und zerstreut. Die wachsende Kommunikationslast „be-lastet“ ihn buchstäblich und fordert besondere Aufmerksamkeits- und Decodierungstechniken. Anstelle der tiefen kontemplativen Wahrnehmung einer Marke, die wie ein Kunstwerk den Betrachter der Zeit entrücken sollte, tritt die flüchtige flache Verarbeitung ihrer Kommunikationsinhalte im Sinne einer „Entlastung“. Der „belastete“ Verbraucher „entlastet“ sich der Marke!
In seinem Buch „Markenglauben managen“ führt der Markenstratege Peter Zernisch dem Leser immer wieder die „Maßlosigkeit“ der herrschenden Kommunikationspraxis vor Augen und weitet dessen Bewusstsein über den wahren Kosmos der Medien, die für eine Markenbildung zur Verfügung stehen. Er entlarvt dabei auch die ökonomischen Hintergründe, die in unserer von Agenturen beherrschten Kommunikationsbranche dazu führen, aus diesem Medienkosmos nur den kleinen Teil profitabler und budgetierbarer Kommunikationsmittel und -maßnahmen zur Markenführung einzusetzen.
„Alles ist Kommunikation“, mahnt Paul Watzlawik. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ und man kann sie nicht vermeiden und auch nicht ersetzen. Aber was unter maßvoller Kommunikation im Sinne der Markenbildung zu verstehen ist, geht weit über das herrschende Verständnis der professionellen Markenkommunikation hinaus.
Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch