9. Ohne Macht
Kommunikation ist machtlos geworden.
Seit drei Jahrzehnten herrscht in der Kommunikationsbranche Goldgräberstimmung. Und weil in dieser Zeit der wechselnden Spektakel das Gesamtspektakel und mit ihm die Reizschwelle – das heißt letztlich die Immunität des Publikums – stetig erhöht wurde, haben sich auch die Budgets und der Aufwand der Kommunikation kontinuierlich erhöht. Und wie bei allen Wachstums- und Steigerungsphänomenen unseres Industriezeitalters hat auch die Kommunikation durch die Digitalisierung einen gewaltigen Schub an Möglichkeiten und Handlungsoptionen und natürlich eine Beschleunigung ihres Einsatzes, ihrer Wirkung und auch ihrer Alterung erfahren. Kaum jemand fragte bis heute, wo dies hinführen soll und wer das alles noch bezahlen kann. Zögerer und Zweifler werden als Spielverderber schnell übergangen. Echter Erfolg ist grenzenlos.
Nun, was haben die Goldgräber bis heute zu Tage gefördert? Ungezählte neue Labels (Marken?), die unsere gesättigten Märkte verstopfen. Einen ruinösen Hyperwettbewerb, der zu Preisschlachten und Wertverfall geführt hat. Sprunghafte Konsumenten, die kaum noch einer Marke treu sind. Eine zunehmend kritische Presse und Öffentlichkeit gegenüber Markenunternehmen. Steigende Kommunikationskosten, um im Getümmel der Markenbotschaften überhaupt noch beachtet zu werden. Einen undurchdringlichen Dickicht von Markenmodellen und Führungsmethoden, die heute niemandem mehr Orientierung bieten. Und schließlich erwischt es auch die Player dieses Spiels: Immer mehr Agenturen und andere Dienstleistungsunternehmen kämpfen um die begehrten Etats der großen Marken – mit allen Mitteln…
Das System „Marke und Kommunikation“ hat seine Grenzen erreicht. Aber wer jetzt auf den großen Knall wartet, wartet vergebens. Solche Systeme sind keine Maschinen, die durch Überdruck oder Kurzschluss plötzlich zusammenbrechen. Solche Systeme zerstören schleichend und leise so lange ihre Systemteile, bis nicht mehr genügend Teile zu zerstören da sind. Und während die einen darin umkommen, haben sich die anderen längst aufgemacht, ein neues System zu bilden und zu nutzen. Das eine löst das andere unmerklich ab und erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, den Malcolm Gladwell in seinem gleichnamigen Buch einst den Tippeng Point nannte, fragen sich alle: Wieso haben wir das denn nicht früher gemerkt? Bis dahin werden jedoch noch viele Marken dem Prinzip der „machtlosen Kommunikation“ erliegen.
Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch