Kommunikation ist machtlos geworden.

Seit drei Jahrzehnten herrscht in der Kommunikationsbranche Goldgräberstimmung. Und weil in dieser Zeit der wechselnden Spektakel das Gesamtspektakel und mit ihm die Reizschwelle – das heißt letztlich die Immunität des Publikums – stetig erhöht wurde, haben sich auch die Budgets und der Aufwand der Kommunikation kontinuierlich erhöht. Und wie bei allen Wachstums- und Steigerungsphänomenen unseres Industriezeitalters hat auch die Kommunikation durch die Digitalisierung einen gewaltigen Schub an Möglichkeiten und Handlungsoptionen und natürlich eine Beschleunigung ihres Einsatzes, ihrer Wirkung und auch ihrer Alterung erfahren. Kaum jemand fragte bis heute, wo dies hinführen soll und wer das alles noch bezahlen kann. Zögerer und Zweifler werden als Spielverderber schnell übergangen. Echter Erfolg ist grenzenlos.

Nun, was haben die Goldgräber bis heute zu Tage gefördert? Ungezählte neue Labels (Marken?), die unsere gesättigten Märkte verstopfen. Einen ruinösen Hyperwettbewerb, der zu Preisschlachten und Wertverfall geführt hat. Sprunghafte Konsumenten, die kaum noch einer Marke treu sind. Eine zunehmend kritische Presse und Öffentlichkeit gegenüber Markenunternehmen. Steigende Kommunikationskosten, um im Getümmel der Markenbotschaften überhaupt noch beachtet zu werden. Einen undurchdringlichen Dickicht von Markenmodellen und Führungsmethoden, die heute niemandem mehr Orientierung bieten. Und schließlich erwischt es auch die Player dieses Spiels: Immer mehr Agenturen und andere Dienstleistungsunternehmen kämpfen um die begehrten Etats der großen Marken – mit allen Mitteln…

Das System „Marke und Kommunikation“ hat seine Grenzen erreicht. Aber wer jetzt auf den großen Knall wartet, wartet vergebens. Solche Systeme sind keine Maschinen, die durch Überdruck oder Kurzschluss plötzlich zusammenbrechen. Solche Systeme zerstören schleichend und leise so lange ihre Systemteile, bis nicht mehr genügend Teile zu zerstören da sind. Und während die einen darin umkommen, haben sich die anderen längst aufgemacht, ein neues System zu bilden und zu nutzen. Das eine löst das andere unmerklich ab und erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, den Malcolm Gladwell in seinem gleichnamigen Buch einst den Tippeng Point nannte, fragen sich alle: Wieso haben wir das denn nicht früher gemerkt? Bis dahin werden jedoch noch viele Marken dem Prinzip der „machtlosen Kommunikation“ erliegen.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch

Kommunikation ist wertlos geworden.

„Interpassivität“ nennt der Zeitkritiker Robert Pfaller das Prinzip unserer langjährigen Kommunikationspraxis. Statt sich interaktiv mit einer Marke, einem Produkt oder einem Unternehmen auseinanderzusetzen und sich seine eigenen Urteile zu bilden, delegierten wir diesen Prozess der Interaktivität sowie die ihr inhärente Urteilsbildung an die Kommunikation.

Warum funktioniert das „Prinzip Marke“ heute nicht mehr? Weil diese nur aufgebaut werden können, wenn sie von vielen wertgeschätzt werden. Marken sind kollektive, soziale Phänomene. Die Vielfalt aller Kommunikationsinstrumente und -kanäle in der professionellen Markenkommunikation schafft es nicht mehr, mit den gleichen Signalen und Botschaften die eine große Wertvorstellung als kollektives bild zu erzeugen. Die Folge kollektiver Wertvorstellungen war lange Zeit die Bildung einer Markenanhängerschaft, einer Wertegemeinschaft oder einer Brand Community. Kommunikation hat hier im ursprünglichen Sinne ihrer Bedeutung („communicare“ = „gemein/ gemeinsam machen“) funktioniert. Doch diese Ära der Vergemeinschaftungen im öffentlichen Raum geht zu Ende. Denn es gibt sie nicht mehr – die Domizlaffschen „Massen“. Sie lösen sich mehr und mehr im Megatrend der Individualisierung auf.

Der Soziologe Richard Sennett hat neben vielen anderen diese Entwicklung glasklar in seinem Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ nachgezeichnet. Demnach hat der stetige Hang zum Individualismus, der andauernde Auftrag an den einzelnen, seine Identität zu befreien, zu gestalten und zu differenzieren, zu einem wachsenden Narzissmus geführt. Dieser Narzissmus verhindert zunehmend die Bildung von Wertegemeinschaften oder sozialen Gruppen. Die narzisstische Herangehensweise ist vielmehr, jede Kommunikation auf ihre Konformität mit dem eigenen Ego hin zu überprüfen. Die Frage, was ein Produkt, eine Person, ein Ereignis für jemanden persönlich bedeuten, steht im Vordergrund. Und alles, was mit dem eigenen Ich, den ganz persönlichen Idealen nicht übereinstimmt, wird als Entfremdung empfunden und abgewiesen.

Das war früher sicherlich auch so, doch wurde dieser Prozess der Urteilsbildung weit mehr durch gesellschaftliche Parameter beeinflusst. Zum Beispiel stellte man sich gleichzeitig auch Fragen wie: „Tut man das? Darf man das? Wie sehen das diese oder jene Eliten, Vorbilder, Leitbilder?  Wie reagieren meine Freunde, Kollegen, Nachbarn, etc. darauf? Welchem Status, welchen Regeln, welchen Normen entspricht das? In welchem Maße gilt das allgemein als gebildet, vermögend, schlau, attraktiv, etc.? Gesellschaftliche Wunschvorstellungen und kollektive Ideale, lagen im Gleichgewicht mit persönlichen Wunschvorstellungen und individuellen Idealen. Dieses Gleichgewicht ist in den letzten Jahren massiv im Zuge einer Dekonstruktion von Regeln und Normen zugunsten der Individualität verschoben worden. Die Entwicklung startete in den 60er Jahren als Befreiung von Autoritäten und hat nach mehr als 50 Jahren zu einem nie da gewesenen Narzissmus geführt.

Kommunikation als Prozess der kollektiven Vorurteils-, Urteils-, Meinungs-, Stimmung-, Image- und Markenbildung verliert zunehmend ihre Effektivität.  

Man muss das nicht bedauern. Man muss es nur verstehen. Man muss den Blick weg von den Risiken und hin auf die neuen Chancen dieser Entwicklung richten. Man muss verstehen, dass es keinen Sinn mehr macht, mit noch mehr Geld, noch mehr Kraft und Entschlossenheit das gleiche wie bisher zu tun und dem alten System weiter zu huldigen. Man muss aussteigen. Endstation! Verlassen Sie diesen Zug. Er ist lange genug gefahren und  hat auf seiner Reise gewaltige Erfolge erzielt. Er war sinnvoll zu seiner Zeit und ist nun sinnlos  geworden.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch