10. Ohne Wert

Kommunikation ist wertlos geworden.

„Interpassivität“ nennt der Zeitkritiker Robert Pfaller das Prinzip unserer langjährigen Kommunikationspraxis. Statt sich interaktiv mit einer Marke, einem Produkt oder einem Unternehmen auseinanderzusetzen und sich seine eigenen Urteile zu bilden, delegierten wir diesen Prozess der Interaktivität sowie die ihr inhärente Urteilsbildung an die Kommunikation.

Warum funktioniert das „Prinzip Marke“ heute nicht mehr? Weil diese nur aufgebaut werden können, wenn sie von vielen wertgeschätzt werden. Marken sind kollektive, soziale Phänomene. Die Vielfalt aller Kommunikationsinstrumente und -kanäle in der professionellen Markenkommunikation schafft es nicht mehr, mit den gleichen Signalen und Botschaften die eine große Wertvorstellung als kollektives bild zu erzeugen. Die Folge kollektiver Wertvorstellungen war lange Zeit die Bildung einer Markenanhängerschaft, einer Wertegemeinschaft oder einer Brand Community. Kommunikation hat hier im ursprünglichen Sinne ihrer Bedeutung („communicare“ = „gemein/ gemeinsam machen“) funktioniert. Doch diese Ära der Vergemeinschaftungen im öffentlichen Raum geht zu Ende. Denn es gibt sie nicht mehr – die Domizlaffschen „Massen“. Sie lösen sich mehr und mehr im Megatrend der Individualisierung auf.

Der Soziologe Richard Sennett hat neben vielen anderen diese Entwicklung glasklar in seinem Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ nachgezeichnet. Demnach hat der stetige Hang zum Individualismus, der andauernde Auftrag an den einzelnen, seine Identität zu befreien, zu gestalten und zu differenzieren, zu einem wachsenden Narzissmus geführt. Dieser Narzissmus verhindert zunehmend die Bildung von Wertegemeinschaften oder sozialen Gruppen. Die narzisstische Herangehensweise ist vielmehr, jede Kommunikation auf ihre Konformität mit dem eigenen Ego hin zu überprüfen. Die Frage, was ein Produkt, eine Person, ein Ereignis für jemanden persönlich bedeuten, steht im Vordergrund. Und alles, was mit dem eigenen Ich, den ganz persönlichen Idealen nicht übereinstimmt, wird als Entfremdung empfunden und abgewiesen.

Das war früher sicherlich auch so, doch wurde dieser Prozess der Urteilsbildung weit mehr durch gesellschaftliche Parameter beeinflusst. Zum Beispiel stellte man sich gleichzeitig auch Fragen wie: „Tut man das? Darf man das? Wie sehen das diese oder jene Eliten, Vorbilder, Leitbilder?  Wie reagieren meine Freunde, Kollegen, Nachbarn, etc. darauf? Welchem Status, welchen Regeln, welchen Normen entspricht das? In welchem Maße gilt das allgemein als gebildet, vermögend, schlau, attraktiv, etc.? Gesellschaftliche Wunschvorstellungen und kollektive Ideale, lagen im Gleichgewicht mit persönlichen Wunschvorstellungen und individuellen Idealen. Dieses Gleichgewicht ist in den letzten Jahren massiv im Zuge einer Dekonstruktion von Regeln und Normen zugunsten der Individualität verschoben worden. Die Entwicklung startete in den 60er Jahren als Befreiung von Autoritäten und hat nach mehr als 50 Jahren zu einem nie da gewesenen Narzissmus geführt.

Kommunikation als Prozess der kollektiven Vorurteils-, Urteils-, Meinungs-, Stimmung-, Image- und Markenbildung verliert zunehmend ihre Effektivität.  

Man muss das nicht bedauern. Man muss es nur verstehen. Man muss den Blick weg von den Risiken und hin auf die neuen Chancen dieser Entwicklung richten. Man muss verstehen, dass es keinen Sinn mehr macht, mit noch mehr Geld, noch mehr Kraft und Entschlossenheit das gleiche wie bisher zu tun und dem alten System weiter zu huldigen. Man muss aussteigen. Endstation! Verlassen Sie diesen Zug. Er ist lange genug gefahren und  hat auf seiner Reise gewaltige Erfolge erzielt. Er war sinnvoll zu seiner Zeit und ist nun sinnlos  geworden.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch

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