Zehn Thesen zur Massenware Kommunikation

Die Inflation der Kommunikation hat die Marken entwertet. Wertverfall und Preisverfall sind die Zeichen unserer Zeit und belegen die Schwäche der Marken. Die herrschende Kommunikationspraxis wirkt zunehmend

1. respektlos

2. würdelos

3. stillos

4. bedeutungslos

5. kulturlos

6. ziellos

7. führungslos

8. maßlos

9. machtlos

10. wertlos

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch 

Kommunikation ist respektlos geworden. 

Die Quantität an Informationen über Unternehmen, Marken, Produkte, Personen, etc. und die Vielfalt ihrer Vermittlungsformate und -kanäle sowie die digitalen Techniken ihrer Reproduktion hat Kommunikation zu einer Plage werden lassen. Wo der Mensch geht und steht, wird er verfolgt durch Bilder und Botschaften einer alles umfassenden Kommunikationsgesellschaft. Der Aufwand, diese Informationen zu filtern, zu selektieren, zu ordnen, zu gewichten und zu verarbeiten steigt ins übermenschliche an.

Norbert Bolz schreibt: „Das zentrale Problem der zukünftigen Kommunikation ist das Management der knappsten aller Ressourcen: Aufmerksamkeit.“ Dazu schreibt er weiter: „Die Menschen haben kein Wissensproblem, sondern ein Orientierungsproblem… Wir ertrinken in Information und brauchen eine Arche Noah in der Sintflut der Botschaften.“ 

Niemand wird mehr gefragt, ob er etwas wissen will. Er wird schlicht damit konfrontiert. Kognitive Strategien, der Tyrannei der Kommunikation zu entkommen, heißen daher immer häufiger: Resistenz und Ignoranz. Die Abwehr von Kommunikation ist auch deshalb zum Selbstschutz geworden, weil ihre Glaubwürdigkeit zunehmend in Zweifel gezogen wird. „Trust me, I’m lying…“ lautet der Titel des vielbeachteten Buchs von Kommunikationsguru Ryan Holiday. Und als größte Arena der Fake-Kommunikation entpuppen sich ausgerechnet die gepriesenen neuen Medien.

Die Verfolgten möchten ihren Verfolgern nur noch entkommen. Und es sind die Verfolgten, die nur noch das wertschätzen, was sie selber aus eigenem Entdecken und Erleben für gut befinden. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Marke in den Augen dieser Menschen zunächst wieder eine respektvolle Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Community entstehen lassen muss. Drängt sich die Marke auf, macht sie Druck, biedert sie sich an, will sie gefallen, so verliert sie ihre Wertschätzung.

Marken müssen ihren Anhängern wieder das Gefühl der Freiheit – der Wahlfreiheit – zurück geben. Marken müssen zukünftig geradezu „versteckt“ werden, um ihren Anhängern die Chance der persönlichen Entdeckung und der freien Entscheidung für ihre Zuwendung zu ermöglichen. Marken, die ihre Anhänger respektieren, werden auch von diesen respektiert. Werbung und PR hingegen attackieren die Umworbenen und werden deshalb von diesen wiederum attackiert. Druck erzeugt Gegendruck.

Der Markenmanager wird zukünftig vermeiden müssen, hinter seinen Markenanhängern her zu laufen und sie zu bedrängen. Er wird im Gegenteil lernen müssen, respektvolle Distanz aufzubauen: Distanz aus Widerständen und Codierungen – das Streuen subtiler Zeichen. Die Überwindung der Distanz, die Überwindung der Widerstände, ist die Leistung, die den Markenanhänger wieder stolz macht: Stolz, etwas besonderes entdeckt und erobert zu haben. Jeder, der schon einmal verliebt war, und den Menschen seiner Sehnsucht erobern konnte, weiß um diese Gesetzmäßigkeiten.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch 

Kommunikation ist würdelos geworden.

Was hat jemand, der hinter anderen herläuft, eigentlich für ein Selbstbild? Genauer gefragt: Für wie „wert-voll“ hält er eigentlich sein Produkt? Eine Marke ist die Würde eines Produktes, hätte Emanuel Kant gesagt, der schon vor 200 Jahren schrieb: „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch ein Äquivalent stehen. Was dagegen eine Würde hat, was über allen Preis erhaben ist, das gestattet kein Äquivalent. Weiter schreibt Kant: „Diese Würde sind innere Werte, unerreichbar, schwer zugänglich, geschützt vor allen Zumutungen des Lebens…“

Wo kommunizieren Sie Ihre Produkte? Verleihen Sie ihnen Wert und Würde? Sind ihre Produkte Verkörperungen gesellschaftlicher Werte? Sind sie not-wendig? Ich sage „not-wenig“, weil wahre Werte immer eine gesellschaftliche Not wenden. Sie sind die Antwort auf ein kulturelles Problem, das bisher ungelöst war. Marken sind Symbole kulturellen Fortschritts – kulturelle Innovationen. Sonst bräuchten wir sie nicht. Nutzen und Qualitätsmerkmale eines Produktes oder einer Dienstleistung können diese auch alleine kommunizieren.

Doch zurück zur Würde: Die Produkte haben ihre Würde verloren, weil die Kommunikation würdelos geworden ist. Der Grund ist die immer unwürdigere Anpassung der Kommunikation an die Bedürfnisse des Publikums. Markt- und Meinungsforschungen, Trend- und Milieustudien, Zielgruppen- und Szenenprofilierungen sowie die immer verfeinerten Bedarfs- und Kaufanalysen haben zu einer neuen obersten Handlungsmaxime geführt: Man will nicht mehr führen, sondern nur noch gefallen.

Zum Aufdrängen der respektlosen Kommunikation hat sich das Gefallenwollen der würdelosen Kommunikation gesellt. Anpassen, Angleichen, Anbiedern sind die drei A’s der aktuellen Markenkommunikation. Die Entwicklung spitzt sich in unseren Tagen durch die wachsende Flut der sozialen Medien dramatisch zu. Was nicht gelikt, geteilt und gepostet wird, existiert nicht.

Die aktuelle Kommunikationspraxis kündet eher von der Selbstaufgabe der Marken. Das zeigt auch, dass Marke nicht das Thema ist – sondern Würde. Es geht nicht darum, wer oder was man ist. Es geht darum, dem, was man ist oder hat, einen wert zuzuschreiben. Die Anbiederung an das Publikum ist das Gegenteil dessen. Man drängt sich nicht mehr nur technisch in das Leben der Markenanhänger über alle möglichen Kommunikations-Formate und -Kanäle hinein, sondern auch inhaltlich, indem man deren Eitelkeit zur eigenen Botschaft erhebt. Der Sender hält dem Empfänger nur noch den Spiegel vor.

Dabei ist es gerade die junge Generation, die in unserer multioptionalen Gesellschaft nach Orientierung sucht, nach Haltung, nach Werten – und nach Auswegen aus so mancher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schieflage. Anbiederung, Unterwerfung, Servilität – die Reaktionen des Publikums auf solche Kommunikationsprinzipien sind immer die gleichen: Überdruss aus Überfluss, Abkehr aus Abneigung, Vermeidung aus Verachtung. Die gefällige Botschaft führt stets zur Verachtung des Botschafters.

Wertschöpfung aus bWertschätzung!
Oliver Börsch 

Kommunikation ist stillos geworden.

Stil ist nicht Design, Ästhetik oder Geschmack. Im Gegenteil. Die Professionalisierung der Kommunikation ist mit ihrer Ästhetisierung einher gegangen. Nie waren die Kampagnenmotive schöner, die Storys schmeichelnder, die Bildwelten brillanter. Dank der digitalen Bildbearbeitungstechniken gibt es keine Hässlichkeit mehr in der Markenkommunikation unserer Tage. Alles ist schön geworden.

Stil meint vielmehr die äußere Form eines inhärenten Werts. Stil als Ausdruck von Werthaltigkeit, von Bedeutung und von Kultur. Ein solcher Stil, der auf unbewusster Wahrnehmungsebene so wertvoll wirkt, weil er so authentisch ist, wird mehr und mehr durch Design ersetzt. Design ist kein Synonym für Stil. Design unterliegt völlig anderen Maßstäben: Zeitgeist, Moden, Sympathie und Beliebtheit. Stil ist Eigenart – Design ist Fremdart.

Wir brauchen uns nur die aktuellsten Kampagnen oder die Bildwelten der gängigen Marken im Netz anzuschauen. Sie ähneln sich immer mehr, passen sich immer mehr den kollektiven Geschmacksidealen an. Und auch dabei scheint wieder das eine Ziel im Vordergrund zu stehen: Zu Gefallen. Der Philosoph Byung-Chul Han, einer der scharfsinnigsten Beobachter unserer Gesellschaft, schreibt zu dieser Entwicklung:

„Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros, der Andere als Begehren, der Andere als Hölle, der Andere als Schmerz ist verschwunden. Die Negativität des Anderen ist der Positivist des Gleichen gewichen. 

Han führt weiter aus, dass die Überkommunikation des „Immer-Gleichen“ zu einer regelrechten „Erschlagung der Gesellschaft“ durch sich selbst führt. Die Konsumenten werden wie Konsumvieh mit dem immer gleichen Mastfutter gemästet, was zu ihrer geistigen Bewegungsträgheit und Bewusstlosigkeit führt. Han spitzt dann zu, diese „Wucherung des Gleichen“ sei ein „gesellschaftliches Krebsgeschwür“.

Wir wollen hier nicht die gesellschaftlichen Folgen einer Überkommunikation dessen betrachten, was trendy, modisch und beliebt ist. Wir müssen aber verstehen, dass das, was jeder „liked“, nicht die ersehnte Einzigartigkeit und Differenzierung von Marken erzielen kann. Wir müssen verstehen, dass mit der Professionalisierung der Kommunikation das Glatte und Gefällige zur Signatur der Marke und damit zum Maßstab ihrer Wahrnehmung geworden ist.

Die Ästhetik des Glatten ist die zentrale Design Guideline der Gegenwart geworden. Die Marke ist ihr prominentester Vertreter. Die glatte Marke ist gefällig und geschmeidig wie niemals zuvor. Sie leistet keinen Widerstand, zeigt keine Brüche, kommuniziert keine Merkwürdigkeiten. „Merk-würdig“ sind unsere Marken schon lange nicht mehr – weder merkfähig noch würdig. Dafür wirken sie wie die Klone einer Designdiktatur, die alles kantige, grobe, eckige abgeschliffen hat.

Einst gehörte zum Ideal des „Schönen“ auch das „Erhabene“. Das Erhabene zeichnete sich durch scheinbar unvereinbare Gegensätze aus. Es war undurchschaubar, in sich widersprüchlich, komplex – und damit faszinierend. Faszination kann nur aus spannungsvollen Gegensätzen entstehen, so wie eine elektrische Spannung nur aus gegensätzlichen Polen resultieren kann. Wenn alles nur noch dem Diktat der Ästhetik unterworfen wird, wenn alles nur noch glatt, gefällig und schön ist, dann entsteht keine Spannung mehr und auch keine Faszination.

Die Verachtung, die den Marken zunehmend aus einer sich anbiedernden Kommunikation entgegen schlägt, wird durch ihre Stillosigkeit verstärkt. Beide Entwicklungen gehen Hand in Hand und verstärken ihrerseits den Effekt der Überkommunikation unserer Tage. Allein diese drei grundlegenden Entwicklungen der Kommunikation sind für jede Markenbildung existenziell bedrohlich.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch 

Kommunikation ist bedeutungslos geworden.

Die Bedeutungslosigkeit der gegenwärtigen Kommunikation resultiert nicht allein als Folge der skizzierten Entwicklungen. Ihre inhaltliche Schwäche hat einen eigenen ganz ursprünglichen Grund: Im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft, der zunehmenden Rationalisierung der Wirtschaft und der immer kleinteiligeren Segmentierung der Zielgruppen findet Kommunikation nur noch im Hier und Jetzt statt. Die Storys sind klein geworden.

Wo sind die großen Narrative geblieben? Die epischen Geschichten aus Mythen, Legenden, Märchen? Wo ist die Inspiration dieser Erzählungen geblieben? Der Glanz, der die Menschen einst aus ihrem Alltag entführte; das Erhabene, das die Menschen einst über ihren Alltag erhob; die Ideale, an denen die Menschen sich einst jenseits ihres Alltags orientierten? Heute spiegelt die Kommunikation nur noch den Alltag.

Dort, wo die Wiederverzauberung der Welt Programmatik für das Handeln und Kommunizieren ist, entstehen gesellschaftliche und wirtschaftliche Erfolge. Ob Buch, Film, Theater, Zirkus oder Computerspiel – es sind die großen epischen Geschichten, die den kleinen banalen Alltag Glanz und Wert verleihen.

Der Anthropologe Mircea Eliade hat dargelegt, wie das Heilige vom Profanen unterschieden werden muss, und dass der Mensch beides braucht. Nur die Markenkommunikation hat sich ausgerechnet aufgemacht, dem Profanen zu huldigen und dieses als „Realität der Zielgruppen“ zu dogmatisieren. Was für ein Paradox.

Nehmen wir ein fiktives Computerspiel an: das Spiel heißt Kommunikation. Und das Ziel wäre wie bei all diesen Spielen, das höchste Level zu erreichen. Dann könnten wir mindestens drei Level unterscheiden: 1. Die Vermittlung von Bedeutungen; 2. Das Erschaffen von Bedeutungen; 3. Den Verweis auf größere Bedeutungen.

Analysieren wir schließlich die herrschende Markenkommunikation, so müssten wir feststellen, dass das erste Level, die Vermittlung von Bedeutungen, gemeistert wurde. Doch schon beim zweiten Level, dem Erschaffen von Bedeutungen, hapert es heftig. Und vom dritten Level, dem Verweis auf größere Bedeutungszusammenhänge scheint kein Markenstratege je etwas gehört zu haben. Warum nicht?

Dort, wo mit Abstand das meiste Geld mit Geschichten verdient wird, wird mit symbolischen und rituellen Handlungsmustern auf mythische Bedeutungszusammenhänge verwiesen: Star Wars – der Mythos des göttlichen Kindes und Erlösers; Harry Potter – der Mythos der Unsterblichkeit durch Liebe; Avatar – der Mythos der großen Mutter Gaia; die Reihe lässt sich endlos fortsetzen. Wo sind die Marken, die auf die großen humanen Werte verweisen? Wo sind die epischen Markengeschichten? Wo sind die Kultmarken?

Die zunehmende Reduktion der Kommunikation auf die profanen Erlebnisse des Alltags, auf die rationale Qualität des Produktes, auf die marginale Differenzierung zum Wettbewerb macht die Marke bedeutungslos. Sie ist eingezwängt in ein Korsett aus kleingeistiger Vernünftelei einerseits und krampfhafter Originalität andererseits. Und so fragen sich die Empfänger der Marken-Botschaften immer häufiger: „Mehr habt ihr mir nicht zu sagen…?“ 

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch 

Kommunikation ist kulturlos geworden.

Die Macht, die eine Marke auf ihre Anhänger ausübt, ist keine Macht aus Größe, Kapital oder Fähigkeiten eines Unternehmens. Die Macht der Marke erwächst aus ihrer Kultur: Kultur ist Macht! Kultur ist Voraussetzung für Markenbildung. Kultur und Profit stehen nicht nebeneinander, sondern in einem kausalen Zusammenhang untereinander. Und die Kultur hat dabei den höheren Rang. Sie ist das Fundament des Marken- und damit des Unternehmenserfolgs. Warum brauchen Marken ausgerechnet jetzt Kultur?

Der erste Grund ist der Erfolg der Marken selber. Marken hatten in den letzten Jahrzehnten Führungspositionen innerhalb ihrer jeweiligen Produkt-/ Dienstleistungsgattungen eingenommen. Diese Position zieht eine besondere Fürsorgeverpflichtung für die jeweilige Gattung nach sich. Die gesellschaftlichen Erwartungen, Ängste und Hoffnungen bezüglich einer Produktgattung richten sich automatisch auf ihren exponiertesten Repräsentanten, auf den Marktführer. Man erwartet, dass der Marktführer die Verantwortung für den Wert, die Qualität und die soziale Anerkennung der Produkte übernimmt.

Der zweite Grund für mehr Kultur ist die wirtschaftliche Notwendigkeit, zu wachsen. Hier stehen die Marken heute einem dichten Feld von Wettbewerbern gegenüber, deren Verdrängung eine enorme Differenzierungsleistung fordert, die nicht alleine aus der Produktqualität angeleitet werden kann. Der Spielraum für die Entwicklung von Argumenten und Botschaften aus der Produktqualität heraus ist begrenzt und in vielen Märkten bereits bis in die exotischsten Spitzfindigkeiten hinein gedehnt worden. Nur wenn eine Marke auch eine kulturelle Idee verkörpert, wird sie wertgeschätzt.

Der dritte Grund für mehr Kultur ist der stetig wachsende Nivellierung. Die klassischen Instrumente der Markenkommunikation, die Bilder, Stimmungen und Botschaften sind von anderen Playern aufgenommen und kopiert worden. Viele Branche, nicht nur die etablierten Konsumgütermärkte, leiden unter einem enormen Nivellierungsdruck, der aus dem Kopieren vermeintlich erfolgreicher Kommunikationsmuster resultiert. Das wird sich weiter verschärfen und nicht selten gehören die Kopierer zu den erfolgreichsten ihrer Branche.

Der vierte Grund für mehr Kultur ist die Notwendigkeit, den Bedeutungsabstand zur Branche, zur Gattungsnorm und den darin führenden Wettbewerbern regelmäßig zu halten, bzw. zu vergrößern. Diese Notwendigkeit ist allein deshalb vorprogrammiert, weil der entsprechende Wertabstand der Marken, ausgedrückt im Preisabstand, zukünftig legitimiert werden muss. In dem Moment, wo eine Marke als überteuert, als unnötiger Luxus oder ungerechtfertigte Bereicherung des Herstellers wahrgenommen wird, wird sie einen irreversiblen Imageverlust erleiden.

Der fünfte Grund für mehr Kultur ist, dass Innovationen stets neue Marktstrukturen schaffen und die Positionen alte Marken in Frage stellen. Unabhängig von den bisherigen Erfolgen einer Marke erweitert jede Innovation ihren Markt sowie das Bewusstsein ihrer Kunden. Die alten Marken leiden dann unter dem Stigma von Gewöhnung und Vertrautheit und führen immer mehr zu Konsumkritik, Konsumüberdruss und Konsumverweigerung. Gleichzeitig wächst in allen Märkten die Sehnsucht nach neuen Produkten, neuen Problemlösungen. Die Wertschätzung aller Marken wächst proportional mit ihrem Anteil innovativer Wertvorstellungen.

Der sechste Grund für mehr Kultur ist die Tatsache, dass es keine Institution von Bedeutung, keine Marke von Rang – überhaupt kein Machtphänomen auf Erden gibt, das nicht eine ausgeprägte Kultur und daraus prägende Kulturgegenstände, „Kultprodukte“ entwickelt hätte. Erst die kontinuierliche Pflege und die dabei entstand Kultivierung eines Angebots hat die vielen wertgeschätzten Kulturgüter unserer Zeit hervor gebracht. Und erst die langfristige Forderung und Förderung dieser Pflege durch jene, die ein existentielles Interesse am Wert und dem Fortbestand der Angebote hatten, hat deren Macht über ihre Abnehmer begründet.

Weder Kirchen, noch Staatsformen, weder Diktaturen noch Demokratien, weder Agrarwirtschaft noch Zunftwirtschaft konnten darauf verzichten. Ein Verfall der Kultur hatte stets den Verfall der Macht einer Institution zur Folge. Kultur ist nichts anderes, als ein Ausdruck von Macht. Sie ist die beziehungsstiftende Kraft, die aus der Hingabe an ein Produkt oder eine Leistung entsteht und all die Menschen verbindet, die ein echtes Interesse an dem Produkt haben. Die Macht des Anbieters gegenüber dem Abnehmer erwächst aus dem Dienst des Anbieters an der gemeinsamen Sache. Der Dienst an der gemeinsamen Sache ist die neue Legitimation des Mächtigen.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch

Kommunikation ist ziellos geworden.

Von „Kommunizieren“ zu „Kommunikation“. Wortspielerei? Nein, der Unterschied ist wichtig. Früher bezog sich Kommunizieren auf ein Kommunikationsziel, z.B. auf die Marke. Früher diente das Kommunizieren der Markenbildung. Die Marke war Ziel und Ergebnis – man könnte mit Niklas Luhmann auch sagen der Eigenwert – der Kommunikation. Das „Kommunizieren“ war Tätigkeit, Aktion, Handlung aller Verantwortlichen und Betroffenen. Und sie zielte auf die Aufwertung der Marke.

Heute ist „Kommunikation“ der Sammelbegriff für ein ganzes Bündel eigenständiger, unabhängiger und hoch spezialisierter Dienstleistungen, die von hoch spezialisierten Dienstleistern erbracht werden und sich längst von der Marke emanzipiert haben. Nicht mehr die Marke, sondern die Kommunikation selbst ist das Ziel aller Aufwendungen und Anstrengungen. Sie ist komplexes Geschäftsmodell einer gigantischen Branche geworden. Sie genügt sich selber und dient sich selber: Ihrem Dasein und ihrer Daseinsberechtigung als Wertschöpfungsquelle und Existenzgrundlage tausender Agenturen. Sie ist ein eigener Markt.

Und wie jeder wachsende dynamische Markt differenziert sich auch die Kommunikation in immer feinere Teilmärkte aus: Neben den alten Funktionen Werbung und PR sind schnell ergänzende Dienstleistungen entstanden wie Corporate und Product Design, Packaging, Sales Promotions, Trade und Sales Marketing, Corporate und Product Communications, Internal Communications, Investor Relations, ganz zu schweigen von den vielen neuen  Dienstleistungen rund um die sozialen Medien. Und alle diese Dienstleistungen auf jenem Markt „Kommunikation“ sind teuer – wie es sich für Dienstleistungen von Spezialisten gehört.

Völlig selbstverständlich, dass ein so teuer bezahltes Produkt wie die Kommunikation immer mehr in den Fokus aller Betrachtungen rückt. Völlig selbstverständlich, dass man den ROI dann auch nicht mehr an der Marke, sondern an der Wirkung der Kommunikation selber misst. Man misst die Leistungsfähigkeit der Kommunikation: Ob sie bei den Zielgruppen auffällt, ob sie gefällt, ob sie durchfällt. Man misst die Wirkung von Kommunikation anhand von Wirkungsdimensionen, die ihren Aufwand rechtfertigen und ihre Fortsetzung und Budgetierung sichern. Man misst Kommunikationserfolg.

Ein Rollentausch hat stattgefunden: Die Rolle von Herr und Diener. Wer dient heute wem? Dient die Kommunikation tatsächlich noch der Marke? Oder dient die Marke nicht längst als Rechtfertigung für eine immer teurere und aufwendigere Kommunikation? Der Diener hat sich auf den Stuhl seines Herrn gesetzt und fordert das Interesse der Markeninhaber wie der Markenanhänger für sich selber. Der Diener sucht sein eigenes Publikum und spricht nicht mehr gut über seinen Herrn, sondern gut über sich selber. Der Diener tritt nicht mehr bescheiden in den Hintergrund und überlässt seinem Herrn den großen Auftritt, sondern beansprucht den Beifall des Publikums für seine eigene Originalität, seinen Witz, seine Schönheit, seinen Unterhaltungswert – seine Leistung.

Aus der Kommunikation ist ein Ungetüm geworden. Ein Ungetüm, das heute nicht mehr der Marke dient, sondern seine ganz eigene Show abzieht. Warum das niemanden stört? Weil es eben eine Entwicklung ist, weil wir uns daran gewöhnt haben und weil diese Entwicklung durch das System „Marke und Kommunikation“ zwangsläufig eintreten musste. Wie im ersten Beitrag gesagt: Das System ist überhitzt, weil sein Hauptprinzip übertrieben wurde. Ein Systemwechsel ist unvermeidbar.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch

Kommunikation ist führungslos geworden.

Das Wettrüsten der Marketing- und Kommunikationsabteilungen ist Teil der Entwertung der Marken. In den Unternehmen gilt: Die Marke ist wie ein Konto. Nur was man reinsteckt, bekommt man auch wieder heraus. Wer nicht mehr einzahlt, fliegt aus dem Rennen um Aufmerksamkeit. Wer nicht mehr aktuell ist, gilt als Schnee von gestern. Wer nicht mehr gefällt, wird nicht mehr gekauft. Wenn all die vielen Produkte und all die vielen Marken die Wertvernichtung in unseren rezessiven Märkten nicht aufhalten konnten; wenn all diese Marken doch austauschbar sind; wenn all diese Marken immer teurer und in ihrer Wirkung immer schwächer werden – ist die Marke dann nicht nur ein Klotz am Bein?

An dieser Stelle der Ohnmacht der Marken greift ein zweites Phänomen unserer Zeit nahtlos ins erste und verstärkt dessen Tragik: Die Vorstellung von der Macht des Marktes; die Vorstellung vom Markt als gegebener Größe aus Absatzpotentialen, Absatzstrukturen, Absatztmittlern und Absatzbringern. Die Vorstellung von unseren Märkten als begrenzte Gesamtgrößen entspricht der Marketingstrategie, jedes Produkt habe sich am Markt auszurichten, sich in ihm zu integrieren und den Bedürfnissen anzupassen. Der übermächtige Käufermarkt, in dem der übermächtige Händler um den übermächtigen Verbraucher buhlt, hat bei den Herstellern zu einer unterwürfigen Submission geführt.

Die Marke wird zu einem Instrument der Differenzierung erklärt und gleichzeitig als Instrument der Anpassung eingesetzt. Angebotsnivellierung, Preisschlachten und Konditionenspielchen belegen dies ebenso, wie die immer gleiche Kommunikation. Fast alle Marketing- und Kommunikationsstrategien sind heute Anpassungsstrategien. Sie werten den Kunden enorm auf und die Unternehmen enorm ab. Jüngstes Beispiel für die kommunikative Anpassung ist das Storytelling, das zu jeder Leistung gleich die unterhaltsame Beilage mitliefert – gerade so, als wenn die Produkte von vorne herein unzulänglich wären.

Die Ohnmacht der Marke sowie die Macht des Marktes haben dazu geführt, dass die Unternehmer bemüht sind, ihre Marken nach den neusten Moden, Benchmarks und  Trends auszurichten. Der Wille, die Marke zu führen; der Wille, einen Markt zu führen, seinen eigenen Markt zu gründen und nach seinen Vorstellungen zu entwickeln kommt aus der Mode.

Die Markenziele eines Unternehmens sind letztlich Machtziele. Markenpolitik ist Machtpolitik. Am Ende geht es um die Macht, die Ertragslage des Unternehmens – als Kombination aus Menge und Wert – so autonom wie möglich gestalten zu können. Das Synonym dazu ist die Unternehmerfreiheit. So ist der Erfolg jeder Marke davon abhängig, sich von diesem Gattungsumfeld genügend abzuheben. Ursprünglich ist jede Marke ursprünglich eine originäre Wertidee. Doch nur wenige werden im Laufe der Zeit immer ursprünglicher, nur wenige immer souveräner. Der Zeitgeist schleift sie alle ab.

Die Mehrzahl der Marken wird kaum noch als solche wahrgenommen, aus mangelnder Führung, mangelnder Distanz und mangelnder Souveränität. Starke Marken gewinnen im Laufe der Zeit Souveränität durch eine souveräne Führung und eine selbstbewusste Beanspruchung von Macht. Ihre Widerstandskraft gegen die Entwicklungen der Branche wächst, und damit wächst auch ihre Faszination, ihr Identifikationspotential und schließlich ihre Wertschätzung. Wenn die Widerstandskraft der Marken wachsen soll, muss zunächst die Widerstandskraft der Menschen wachsen, die sie führen. Und wenn die Widerstandskraft der Menschen im Unternehmen gestärkt werden soll, muss das Unternehmen sich fortwährend seiner Identität, seiner Ursprünglichkeit und seiner Einzigartigkeit bewusst werden und pflegen.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch

Kommunikation ist maßlos geworden.

Baudrillard spricht von der Fettleibigkeit gegenwärtiger gesellschaftlicher Systeme, seien es Informations-, Produktions- oder Kommunikationssysteme. In diesen Systemen werde letztlich mit höchster Effizienz das „immer Gleiche“ multipliziert. Später sagt er dazu: „Wer vom Gleichen lebt, kommt durch das Gleiche um, denn in unseren Zeiten des Überflusses liegt das Problem in der Ablehnung und Abstoßung desselben. „Überkommunikation und Überinformation stimulieren die Abwehrkräfte der Gesellschaft“, schreibt Baudrillard.

Dem „Zuviel des Gleichen“ von Baudrillard stellt der Berliner Gesellschaftsanalytiker und Philosoph Byun Chul Han das „Übermaß an Positivität“ gegenüber. Han spricht von einer neuen „Gewalt der Positivität“, die aus dem „Übermaß an Kommunikation“, einer Überkommunikation herrührt. Die Folgen seien eine Art „gesellschaftliche Erstickung, Erschöpfung und Ermüdung“, welche eine instinktive Abwehr und Ablehnung aller Kommunikation herbei führe. Han spitzt im Sinne Baudrillards zu, dass sich Kommunikation als „Übermaß des Positiven“ im Gegensatz zur negativen Gewalt genau wie Krebszellen durch ein endloses Wuchern zum Feind des zu kommunizierenden Gegenstandes entwickelt.

Die „Gewalt der Positivität“, das „Zuviel des Guten“ läßt sich nur schwer erkennen und regulieren, denn es entwickelt sich nicht als äußere feindliche Bedrohung, sondern als innerer unverdächtiger Bestandteil des Systems. Die Kommunikation ist dem System und der Gesellschaft immanent. Und aufgrund ihrer Immanenz sprechen die gängigen Methoden der Kontrolle und Regulierung auch nicht auf sie an. Ebenso wenig wie die körpereigene Immunabwehr auf das Wuchern der Krebszellen anspricht und diese eindämmen kann.

Das „Zuviel des Guten“ äußert sich als Übermaß an Reizen und Impulsen: Zu viele Botschaften, Symbole, Versprechen, Storys, Ansprüche, Werte, Informationen. Das „Zuviel“ verändert somit die Struktur und Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Wahrnehmung des Rezipienten wird zunehmend fragmentarisiert und zerstreut. Die wachsende Kommunikationslast „be-lastet“ ihn buchstäblich und fordert besondere Aufmerksamkeits- und Decodierungstechniken. Anstelle der tiefen kontemplativen Wahrnehmung einer Marke, die wie ein Kunstwerk den Betrachter der Zeit entrücken sollte, tritt die flüchtige flache Verarbeitung ihrer Kommunikationsinhalte im Sinne einer „Entlastung“. Der „belastete“ Verbraucher „entlastet“ sich der Marke!

In seinem Buch „Markenglauben managen“ führt der Markenstratege Peter Zernisch dem Leser immer wieder die „Maßlosigkeit“ der herrschenden Kommunikationspraxis vor Augen und weitet dessen Bewusstsein über den wahren Kosmos der Medien, die für eine Markenbildung  zur Verfügung stehen. Er entlarvt dabei auch die ökonomischen Hintergründe, die in unserer von Agenturen beherrschten Kommunikationsbranche dazu führen, aus diesem Medienkosmos nur den kleinen Teil profitabler und budgetierbarer Kommunikationsmittel und -maßnahmen zur Markenführung einzusetzen.

„Alles ist Kommunikation“, mahnt Paul Watzlawik. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ und man kann sie nicht vermeiden und auch nicht ersetzen. Aber was unter maßvoller Kommunikation im Sinne der Markenbildung zu verstehen ist, geht weit über das herrschende Verständnis der professionellen Markenkommunikation hinaus.

Wertschöpfung aus Wertschätzung!
Oliver Börsch